Die Eskalation des Russland-Ukraine-Konfliktes lässt die Kurse an den Weltbörsen taumeln – schwere Erschütterungen sind aber bislang ausgeblieben. Auch wenn die weitere Entwicklung schwer einschätzbar bleibt, möchten wir Ihnen nachfolgend unsere Sicht der Dinge und daraus resultierende Handlungsempfehlungen aufzeigen. In Anbetracht einer kriegerischen Auseinandersetzung mitten in Europa sowie des damit einhergehenden menschlichen Leids fällt uns das derzeit besonders schwer. Aber da wir für Ihr Vermögen verantwortlich sind, fühlen wir uns trotzdem dazu verpflichtet.
Jahresauftakt an den Börsen im Schatten militärischer Auseinandersetzungen
Moskaus Truppeneinmarsch in die Ukraine und Putins Großrussland-Phantasien fallen zeitlich zusammen mit den Sorgen rund um die Inflationsentwicklung und den weiteren geldpolitischen Kurs der Notenbanken in den USA und in Europa. Diese schwer verdauliche Mixtur hat seit Jahresbeginn zu einer mittlerweile spürbaren Kurskorrektur an den Aktienmärkten geführt.
Auffallend ist, dass mit Japan und den asiatischen Schwellenländern bisher vor allem die Aktienmärkte relative Stärke zeigen, die im letzten Jahr zurückhingen (Japan) bzw. deutlich enttäuschten (Schwellenländer, allen voran China). Hintergrund könnte der geographische Abstand zum Krisenherd und die fehlende politische Involvierung sein. Allerdings wäre ein mit der Krise einhergehender weiterer Energiepreisanstieg auch für diese Regionen ein erheblicher Belastungsfaktor. Doch unabhängig von den konkreten Hintergründen unterstreicht diese Entwicklung einmal mehr den Wert einer möglichst breiten internationalen Streuung für ein Wertpapierdepot.
Kriegsangst und Anlegersorgen wachsen – der Blick in die Historie bietet Orientierung
Die Krise und die damit verbundenen Sorgen nähren bei vielen Anlegerinnen und Anlegern Überlegungen, ihre Aktienquoten zu reduzieren oder sich womöglich komplett an die Seitenlinie zu begeben … gemäß dem Motto: „Wenn sich die Lage beruhigt hat, steige ich wieder ein“.
Wir möchten an dieser Stelle bewusst keine Spekulationen über den Fortgang des Russland-Ukraine-Konflikts anstellen, denn er ist in allerhöchstem Maße unsicher. Auch wenn darüber viel und auch konträr diskutiert wird, bleibt am Ende doch eine Erkenntnis: Der Kreml-Herrscher Wladimir Putin ist und bleibt unberechenbar.
Geopolitische Konflikte – oder deren schlimmste Ausprägung, kriegerische Auseinandersetzungen – verunsichern Anleger wie Börsianer und führen meist auch zu spürbaren Verwerfungen an den Kapitalmärkten. Aber – und das muss man leider in aller Deutlichkeit so sagen – die Börsen sind im Gegensatz zu uns Menschen wenig empathisch. Das heißt, die kurzfristigen Turbulenzen legen sich meist schnell wieder und langfristig haben geopolitische Konflikte und selbst Kriege – sofern sie geografisch begrenzt sind – keinen nachhaltigen Einfluss auf die Wertentwicklung einer breit gestreuten Kapitalmarktanlage.
Zur Unterstreichung dieser These möchten wir kurz und exemplarisch die Resultate zweier Untersuchungen dieses Sachverhaltes referieren.
So befasst sich eine Auswertung der schweizerischen Großbank Credit Suisse mit der Reaktion des US-Aktienindex S&P 500 auf 14 unterschiedliche militärische Konflikte seit 1986, wie beispielsweise die Annexion der Krim, den Bosnienkrieg oder den Golfkrieg. Ergebnis: Vom Hochpunkt des Index vor dem jeweiligen Angriff bis zum Tiefpunkt danach ist im Schnitt nur ein knapper Monat vergangen. Der entsprechende Durchschnittsverlust belief sich auf -8,5 % (Median: -4,0 %). Die durchschnittliche Indexentwicklung in den 100 Tagen nach dem Tiefpunkt belief sich auf +4,2 % (Median: +8,0 %).
Die zweite Untersuchung erfolgte durch das US-Analysehauses LPL (Linsco and Private Ledger). Gegenstand dieser Analyse: 21 kriegerische und terroristische Ereignisse seit Pearl Harbor und deren Auswirkung an der Börse am Tag des Konfliktbeginns. Ergebnis: Der durchschnittliche Verlust des S&P 500 Index (bzw. seines Vorgängers S&P 50 vor 1957) vom Tag des Ereignisses bis zum Tiefpunkt belief sich auf -4,6 % – vollständig aufgeholt waren die Verluste im Schnitt nach 43 Tagen.
Die Lehren aus der Historie und der Blick nach vorn
Die obigen Auswertungen legen nahe, dass es in aller Regel eine schlechte Idee war, in den untersuchten Marktphasen aus dem Markt auszusteigen, weil die Börsen die Geschehnisse relativ schnell abgeschüttelt haben. Den (Börsen-)Tiefpunkt nach dem Eintritt eines der beschriebenen Ereignisse beim Wiedereinstieg zu erwischen, wäre reine Glückssache gewesen.
Wichtig ist aus Anlegersicht daher vor allem eines: Ruhe bewahren und keine überhasteten Entscheidungen treffen, denn der übereilte Ausstieg aus den Märkten ist keine gute Idee. Dasselbe gilt für alle Versuche, vermeintlich günstige Ein- und Ausstiegszeitpunkte abzupassen sowie für die Spekulation auf steigende oder fallende Kurse bei einzelnen Aktien. Bleiben Sie ruhig, lassen Sie sich nicht verrückt machen und vor allem: Bleiben Sie investiert. In dem Augenblick, in dem Sie aktionistisch aus- und einsteigen, wird aus einer strategischen Anlage ein reines Glückspiel. Von daher bleiben selbstverständlich auch wir unserer Anlagestrategie treu, bewahren eine ruhige Hand und verzichten bewusst auf wie auch immer geartete Absicherungsstrategien.
Betonen möchten wir an dieser Stelle aber auch, dass die vergangenheitsbezogenen Auswertungen naturgemäß keine verlässliche Auskunft über den weiteren Börsenverlauf im Rahmen der aktuellen Krise geben. Noch bleibt abzuwarten, wie und in welchem Umfang die Staatengemeinschaft auf die russische Aggression reagieren wird und ob dies der Beginn einer längeren geopolitischen Eiszeit zwischen Ost und West markieren wird. Angesichts der jüngsten Entwicklung steht derzeit jedoch außer Frage, dass auch in den kommenden Wochen mit Kursturbulenzen an den Finanzmärkten gerechnet werden muss – gerade die letzten Tage zeugen bereits davon.
Je weiter sich die Lage zuspitzt, umso stärker dürften z. B. die Energiepreise zu weiteren Sprüngen neigen (vor allem dann, wenn Russland seine entsprechenden Exporte deutlich kappt). Das dürfte den von uns erwarteten Rücklauf der Inflationsraten auf der Zeitachse weiter nach hinten verschieben, was wiederum für zusätzlichen Abwärtsdruck an den Börsen sorgen könnte. Die Betonung liegt aber wie immer bei derartigen Überlegungen auf dem Wörtchen „könnte“. Denn die Finanzmärkte werden von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst und oftmals ergeben sich sogar gerade in unruhigen Zeiten, in denen der Weg für die Kurse scheinbar unweigerlich gen Süden vorgezeichnet ist, positive Aspekte, die für eine Trendumkehr sorgen. Die mögliche Freigabe von strategischen Rohstoffreserven seitens der USA wäre ein solcher Aspekt.
Unsere Empfehlung auf den Punkt gebracht
Wir halten einen Ausstieg aus den Aktienmärkten auch in der aktuell unübersichtlichen Situation falsch – wohlwissend, dass Anlagedisziplin insbesondere in Zeiten militärischer Auseinandersetzungen keine leichte emotionale Übung ist. Gerade in solchen Phasen fühlen sich viele Anlegerinnen und Anleger fast schon zum Handeln gedrängt, was ja auch zutiefst menschlich ist. Schließlich erlebt man im Alltag ständig, dass schnelles und aktives Reagieren in kritischen Situationen meistens doch besser ist als bloßes Abwarten. Im Gegensatz dazu sollte sich aber eine erfolgreiche Aktienanlage nie von Emotionen leiten lassen – so schwer das in der aktuellen Situation auch fällt.
Die beste Strategie ist auch angesichts der jüngsten Eskalation ein Dreiklang aus Prognosefreiheit, breiter internationaler Streuung und Anlagedisziplin. Eine auf Ihre individuelle Risikotragfähigkeit abgestimmte Aktienquote versetzt Sie in die Lage, diese Disziplin auch konsequent zu wahren.
Fragen und Antworten zum Ukraine-Krieg sowie zu den Auswirkungen auf die Portfolios gibt es auch in der Aufzeichnung von quirion LIVE vom Februar.
Wenn Sie mit Blick auf die aktuellen Geschehnisse Rückmeldungen, Fragen und Themenwünsche haben, richten Sie diese auch gerne an pk@quirinprivatbank.de.
Wir wünschen uns allen, dass sich die Lage in der Ukraine so schnell wie möglich beruhigt und Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre.
Ihr Stefan May
Leiter Anlagemanagement